Die Geburt eines Namens
Im Jahr 1305 entsandte Ulrich von Neumarkt, Stammhalter eines alten Ministerialengeschlechts, seine beiden Söhne Conrad und Wigelinus in die Freie Reichsstadt Nürnberg. Schon viele Generationen davor machten sich Mitglieder seiner Familie im Reich als enge Vertraute um die Stauferkaiser verdient. Doch im ausgehenden 14. Jahrhundert, als vor allem in den Städten der Handel zu florieren begann, versprachen sich Conrad und Wigelinus in Nürnberg einfach eine bessere Zukunft, als auf dem in die Jahre gekommenen Landsitz des Vaters.
Schnell machten die jungen Herren Karriere im Handel mit wertvollen Stoffen, Getreide und Salz. Wigelinus von Neumarkt vertrat bald die Ansicht, dass er mit seinem beispielhaften Erfolg die Geschicke der Familie für viele Generationen zum Positiven gewendet habe. Aus diesem Grund sollten seine Kinder und Kindeskinder künftig seinen eigenen Vornamen als ihren neuen Familiennamen annehmen – die Weigel.
Die Kinder von Conrad und Wigelinus zeichneten sich gleichsam als geschickte Geschäftsleute aus, was dazu führte, dass deren Vermögen anwuchs und die Weigel in den Kreis der ehrbaren Ratsfamilien Nürnbergs aufgenommen wurden. Gleichzeitig unterhielten sie hervorragende Kontakte zum Hof des Kaisers, weshalb etwa Ludwig der Bayer bei seinen mehr als 74 Besuchen in Nürnberg direkt bei den Weigel zu wohnen pflegte, anstatt im dafür vorgesehenen kaiserlichen Quartier.
Vom Rat ins Exil
Die enge Verbindung zu Ludwig dem Bayer wurde der Familie schon wenige Jahre später zum Verhängnis. Nachdem Karl IV. die Krone für sich beanspruchte, revoltierten 1348 viele der Ratsmitglieder, unterstützt durch Kaufleute und die Handwerkszunft, gegen den alten Rat, der auf Seiten des neuen Kaisers stand. Unter ihnen war auch Hans Weigel, der aus dem alten Rat austrat, um umgehend ein Mitglied des aufständischen Regimes zu werden. Die neue Ordnung der Stadt hielt jedoch nur vom 4. Juni 1348 bis zum 27. September 1349. Als Karl IV. in die Stadt einmarschierte und den Aufruhr brutal niederschlug, standen die Weigel erstmals auf der Seite der glücklosen Verlierer, von denen die meisten auf Anordnung des Kaisers hingerichtet wurden.
Karl IV. jedoch wusste von der besonderen Stellung der Weigel in Nürnberg, weshalb er überraschenderweise verfügte, dass keines der Familienmitglieder zum Tode verurteilt werden sollte. Er exilierte den Aufrührer Hans Weigel und installierte umgehend dessen Cousin, Hermann Weigel, der die Rolle der Familie im Rat übernehmen und weiter ausüben sollte. So verstarb erst im Jahr 1430 mit Forstmeister Hans Weigel der letzte Angehörige der Familie in Nürnberg.
Eine neue Heimat
Fast 150 Jahre sollten vergehen, bis wieder etwas zu den Weigel verschriftlich wurde. Mangels behördlicher und kirchlicher Aufzeichnungen am Land ist aus dieser Zeit wenig bis gar nichts bekannt, weshalb in der Familienchronik bis heute ein Loch klafft. Anzunehmen ist, dass sich nach der Exilierung von Hans Weigel Teile der Familie den Resten der Ost-Kolonisation anschlossen. Licht ins Dunkel kommt hier erst wieder im Jahr 1588, als in Mähren Daniel Weigel für 750 Pfund ein schankberechtigtes Bürgerhaus in der Stadt Prossnitz erwarb. So blitzt nach Daniel Weigel in den Chroniken immer öfter der Name auf, jedoch noch ohne nahtlosen Zusammenhang.
Der erste, den die Familienchronik mit Bestimmtheit als direkten Vorfahren nennt, ist Joseph Weigel. Im Jahr 1785 wurde ihm als Schaffer die Bewirtschaftung des Meierhofes in Hartmanitz übertragen, der zur Liechtensteinischen Herrschaft Plumenau gehörte. Zwar konnte man den Wohlstand, den er sich dadurch sicherte nicht mit den Reichtümern der Weigel in Nürnberg vergleichen, jedoch gab es ihm und seiner Familie das notwendige Einkommen für eine glückliche Existenz. Seinen Nachfragen gelang es, sich den Status einer respektierten, wenn auch nicht von Vermögen strotzenden Familie zu behalten.
Erste Destillerie in Mähren
Im Jahr 1866 kam Franz Weigel als jüngstes Kind der alteingesessenen Prossnitzer Familie zur Welt. Für die Verhältnisse der Zeit durfte er eine glückliche Kindheit erleben, denn an vielem mangelte es den Weigel nicht. Franz wuchs in einem stattlichen Bürgerhaus am Pernsteinplatz auf – benannt nach den Herren von Pernstein, die während des 16. Jahrhunderts ganz Prossnitz sozusagen besaßen. Schon als Kind dufte er dabei zusehen, wenn sein Vater die alte Brennerei im Hinterhof des Hauses befeuerte und der Duft von Früchten die Umgebungsluft angenehm erfüllte.
Das Haus am Pernsteinplatz war jedoch nicht bloß ein Wohnort. Im Erdgeschoß mit einer gemütlichen Gastwirtschaft ausgestattet, trug es den einladenden Namen „Zum weißen Ochsen“ und war für Prossnitzer Verhältnisse ein recht großes Wirtshaus. Und der Ochse war stets gut besucht, nicht zuletzt aufgrund der feinen Biere und Schnäpse, die Franz Weigel – als er als Erwachsener die Geschäfte des Vaters übernahm – seinen Gästen offerierte. Tatsächlich konnte sich die Familie glücklich schätzen, dass der Ochse eines der wenigen Häuser war, die über ein eigenes Brau- und Brennrecht verfügten. Es war ein emsiges Treiben, das nicht nur in der Gaststube und der Küche stattfand, sondern auch im Feinkostladen, der Brauerei und im Herzstück, der Franz Weigel Liqueur-Fabrik.
Mit dem Aufbau der Brennerei stellte sich Franz Weigel nicht nur in die Tradition seines Vaters, sondern auch in die des Großonkels, Ernst Weigel, der zu Lebzeiten sein Vorhaben, die größte Spirituosenfabrik in ganz Mähren zu errichten, vorantrieb. Zwar schaffte es Ernst Weigel nicht ganz bis ans Ziel, jedoch ließ die Hingabe zum Handwerk der Destillateure weder Ernst, noch Franz´ Vater und schon gar nicht Franz selbst wieder los. Als er 1907 die Brennlizenz erwarb, begann er mit der Herstellung einer bunten Vielfalt köstlichster und in der Region ausgesprochen beliebter Spirituosen.
Der Erfolg währte jedoch nur so lange, bis zwei verheerende Kriege die Welt ins Dunkel stürzten. Kein Gasthof mehr und keine Brennerei. Die Weigel zogen aus Mähren fort, nach Süden. Teile der Familie ließen sich schon früher in Wien nieder. Die anderen verschlug es nach Melk an der Donau.
Brenntradition modern interpretiert
Die Geschichte, die hier geschrieben steht, kenne ich Großteils seit meiner frühen Kindheit. Ich bin in Melk aufgewachsen. Am Mittagstisch nach der Schule erzählten meine Urgroßmutter, Ludmilla Weigel, und meine Großmutter, Eva Weigel, immer gerne von ihrer Zeit in Prossnitz. Mich persönlich fasziniert Geschichte und wenn es die der eigenen Familie ist, natürlich besonders. Die Idee, Weigel Traditionen wieder aufleben zu lassen, kam auf, als mir mein Onkel die Familienchronik erstmals vorlegte. Die vielen Fotos, die Gesichter und die Etiketten der Brennereien von Franz und Ernst Weigel erstmals zu sehen, war überwältigend!
Da war es beschlossene Sache: Ich wollte Weigel Spirituosen herstellen; zunächst einmal einen Gin. Und zwar nicht mit möglichst ausgefallenen Botanicals (die sich zwar gut vermarkten lassen, aber geschmacklich kaum wahrnehmbar sind), sondern einen, den man wie einen edlen Whisky auch pur und ohne Eis hervorragend genießen kann. Einen Gin, der kristallklar, sanft und fruchtig im Geschmack ist.
Nach eineinhalb Jahren des Experimentierens war er dann vollendet. Weigel Gin – erst ausschließlich für Familie und Freunde destilliert, erfreut er seit 2020 bereits viele Kunden und ist über den österreichischen Zweig der Familie Rothschild mittlerweile sogar bis nach New York gelangt. Wer Gin gern hat, wird Weigel Gin lieben – Prost!
Florian Kleedorfer
Gründer und Ur-Ur-Ur-Enkel von Franz Weigel